Benjamin Brittens (1913 -1976) «War Requiem», op. 66 ist keine Totenmesse wie jede andere. Schon der Titel, der das kurze Wort »War« (Krieg) mitführt, verrät, hier ist etwas Besonderes gemeint und es wird ein anderer Ton angeschlagen. Der Chor setzt gehetzt und ruhelos ein, das Orchester arbeitet sich nur mühsam aus musikalischen Grabestiefen hervor. Keine Melodie hüllt den Zuhörer behaglich ein und verspricht »Requiem aeteram«, ewige Ruhe. Obwohl sich das Stück einreiht in die Liste monumentaler Requiem-Vertonungen, ist es doch eine ungemein persönliche Komposition und ein eindringlicher Appell für den Frieden. Britten selbst nannte es »eines meiner wichtigsten Werke«.
Brittens Komposition entstand aus Anlass der Einweihung der neuen Kathedrale von Coventry im Jahre 1962. Die von der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörte englische Industriestadt entschloss sich, ihre Kathedrale als Mahnmal an den schrecklichen Krieg in erneuerten Formen wiederaufzubauen. Die Wahl für den Kompositionsauftrag fiel nicht zufällig auf Benjamin Britten, war er doch als aktiver Pazifist bekannt, der den Kriegsdienst verweigert hatte und deshalb die ersten Jahre des Zweiten Weltkriegs in den USA verbringen musste. Brittens kompromisslose Antikriegsüberzeugung kommt im »War Requiem« musikalisch wie textlich eindringlich zum Ausdruck.
Als Textgrundlage für das Werk dient einerseits der kanonische, übliche, lateinische Text der Requiemsliturgie, anderseits wird dieser aber durch Gedichte in englischer Sprache des Dichters Wilfred Owen (1893-1918) ergänzt. Wie viele junge Männer seiner Generation war Owen, irregeführt von romantisierender Kriegsliteratur und Propaganda, mit der Vorstellung in den Ersten Weltkrieg gezogen, ein Abenteuer erleben zu können und als guter Patriot das Vaterland gegen die deutschen »Barbaren« zu verteidigen. Die Schrecken der modernen Kriegsführung und die brutale Realität trafen die jungen Soldaten nahezu unvorbereitet. Owen selbst fiel mit gerade 25 Jahren an der Front in Frankreich –eine Woche vor dem Ende des Ersten Weltkriegs. Durch die Auswahl von neun Kriegsgedichten schafft Britten im »War Requiem« so anschauliche wie bestürzende Bilder, die die Schrecken und Sinnlosigkeit des Krieges verdeutlichen –obgleich er die brutalsten Texte Owens sogar noch aussen vorliess. Der narrative Spannungsbogen zeichnet die Karriere eines Soldaten im Ersten Weltkrieg nach, angelehnt an Owens militärische Laufbahn. Dabei stellt Brittens unmissverständliche Tonsprache immer wieder akustische Bezüge zur Front her. Besonders geschickt ist die Verschränkung mit dem lateinischen Messetext gestaltet, sodass die Kriegsgedichte den Messetext mal ironisch, mal beißend, sarkastisch kommentieren und dessen Inhalte in vielen Teilen in Frage stellen. Die unterschiedlichen Ebenen der Erzählstruktur verdeutlicht Britten durch den Einsatz mehrerer musikalischer Klangkörper –ein vierstimmiger Chor, ein Knabenchor sowie drei Gesangssolisten übernehmen die vokalen Teile. Die Owen’schen Gedichte werden vom Tenor, begleitet von einem Kammerorchester, vorgetragen und in äussert eindringlicher, intensiver, besonders textnaher Manier vertont. Das »War Requiem« verheißt keine paradiesischen Zustände, sondern warnt eindringlich vor den Konsequenzen ungelöster Konflikte. So steht Benjamin Brittens Monumentalwerk damals wie heute als Mahnmal gegen den Krieg und als Appell für den Frieden.