F. Poulenc – Stabat mater und Gloria

Francis Poulencs Stabat Mater (ca. 35 Min.) ist ein sakrales Chorwerk für Sopran-Solo, gemischten Chor und Orchester, das 1950 komponiert wurde. Es gehört zu den bedeutendsten geistlichen Kompositionen des 20. Jahrhunderts und zeigt Poulencs tiefe spirituelle Ausdruckskraft in Verbindung mit seiner charakteristischen Musiksprache – einer Mischung aus Klarheit, Melancholie und feinem, manchmal auch überraschendem Humor. Das Werk basiert auf dem mittelalterlichen Gedicht Stabat Mater dolorosa, das das Leid der Gottesmutter Maria unter dem Kreuz ihres Sohnes Jesus Christus schildert. Poulenc vertonte alle 12 traditionellen Strophen des lateinischen Textes, unterteilt in zwölf kurze Sätze, die zwischen tiefem Ernst, kontemplativer Stille und strahlender Hoffnung changieren. Die Komposition entstand aus einem persönlichen Schicksal heraus: Der Tod seines Freundes Christian Bérard im Jahr 1949 veranlasste Poulenc, über ein Requiem nachzudenken. Schliesslich entschied er sich für das Stabat Mater und begann die Arbeit daran während einer Pilgerreise zur Schwarzen Madonna im französischen Rocamadour – ein Ort, der bereits Jahre zuvor seine Rückkehr zum Glauben geprägt hatte.

Poulencs Vertonung zeichnet sich durch eine klare formale Struktur und eine ökonomische, aber effektvolle Orchesterbehandlung aus. Der Chor agiert oft homophon, was dem Textverständnis dient, während einzelne Sätze auch durch dramatische Kontraste oder expressive Solopassagen (insbesondere im Sopran) geprägt sind. Die Harmonik bewegt sich zwischen tonaler Klarheit und modalen Einfärbungen, wobei Poulenc auch moderne Dissonanzen sparsam, aber gezielt einsetzt. Trotz des ernsten Inhalts vermeidet Poulenc Pathos. Stattdessen dominiert eine Haltung stiller Andacht und tief empfundener Emotion. Der abschliessende Satz „Quando corpus morietur“ schliesst das Werk mit einer atmosphärischen Ruhe und Hoffnung ab – ein musikalisches Gebet für Trost und Erlösung.

Francis Poulencs Gloria (ca. 25 Min.) für Sopran, gemischten Chor und Orchester wurde 1959 komponiert und zählt zu seinen bekanntesten und beliebtesten geistlichen Werken. Es entstand im Auftrag der Koussevitzky Foundation und wurde 1961 in Boston uraufgeführt. Das Werk vereint liturgischen Ernst mit lebensfroher Frische – typisch für Poulencs ganz eigene Tonsprache zwischen Spiritualität, Ironie und melodischem Esprit. Poulenc vertonte den liturgischen Gloria-Text aus der lateinischen Messe in sechs Sätzen. Dabei variiert die Musik stark im Charakter – vom majestätisch-erhabenen Beginn über verspielte, fast tänzerische Passagen bis hin zu meditativen und innigen Momenten. Besonders auffällig ist der Wechsel zwischen strahlenden Chorsätzen und intimen Sopran-Soli, die dem Werk eine emotionale Tiefe und Vielschichtigkeit verleihen. Stilistisch mischt Poulenc klare diatonische Harmonien mit überraschenden Wendungen, französischer Eleganz und gelegentlichen jazzartigen Rhythmen. Trotz der kirchlichen Vorlage vermeidet das Gloria jede Schwermut. Vielmehr vermittelt es einen freudvollen, manchmal sogar augenzwinkernden Zugang zum Glauben – Poulenc selbst sprach davon, dass er sich beim Komponieren eine Szene mit Benediktinermönchen vorgestellt habe, „die beim Fussballspielen ihre Soutanen hochheben“. Das Werk ist ein leuchtendes Beispiel für die geistige Versöhnung von weltlicher Lebensfreude und religiöser Tiefe – und damit ein eindrucksvoller Ausdruck von Poulencs persönlicher Religiosität, die er nie dogmatisch, sondern immer zutiefst menschlich verstand.

A. Dvořák: Stabat mater Op. 58

Das «Stabat Mater» von Antonín Dvořák (1841-1904) gehört zu den am meisten aufgeführten Oratorien unseres Kulturkreises und besticht bis heute durch die Unmittelbarkeit seiner Tonsprache. Sein orchestraler wie vokaler Farbenreichtum und die den Text plastisch illustrierende Melodik gestalten dieses Werk zu einer beeindruckenden Folge expressiver und suggestiver Bilder.

Dvořák verkörpert mit Smetana und Janáček das Dreigestirn der tschechischen Musik bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Mit dem «Stabat Mater», diesem von vielen Komponisten vertonten Text, verbindet sich der Aufstieg Dvořáks zum Komponisten von Weltgeltung. Die ersten Skizzen entstanden bereits 1876. Die Uraufführung fand am 23. Dezember 1880 anlässlich des Jahreskonzertes des Verbandes der Musikkünstler in Prag statt. Die internationale Aufmerksamkeit zogen das Werk und sein Komponist durch die gefeierte Aufführung im Rahmen der berühmten Konzerte von Josef Barnby in der Royal Albert Hall in London auf sich. Daraufhin beauftragte man Dvořák, sein «Stabat Mater» selbst zu dirigieren. Das Konzert am 13. März 1884 in der Royal Albert Hall wurde zu einem Triumph des bis dahin international noch wenig bekannten Komponisten.

Beim Text zum «Stabat mater» handelt es sich um ein geistliches Gedicht aus dem Mittelalter, welches die Schmerzen der Muttergottes, sowie das Mitgefühl des Betrachters bei der Kreuzigung Jesu schildert. Dvořák griff in seiner Vertonung formal auf die Kantatenform zurück, indem er den Text auf zehn in sich geschlossene Sätze aufteilt. Die beiden ersten beleuchten das Leid der Mutter, die ihren Sohn am Kreuz sterben sieht. Die folgenden Sätze betonen den Wunsch des Betrachters, mit ihr zu leiden, zu weinen und zu trauern. Am Schluss des Werks schliesslich, in den beiden letzten Teilen, wird ein Ausblick auf das Paradies gegeben. Durch die thematische Verknüpfung der Einleitung mit dem Finale ergibt sich so eine zyklische Abrundung, die den kontrastierenden Bildern der anderen Sätze den sie zusammenfügenden Rahmen gibt.