Sergei Rachmaninows gross angelegter Chorzyklus Ganznächtliche Vigil, op. 37 (russ. Всенощное бдение „Abendlied“ oder „Vigilie“), der 1915 inmitten des Ersten Weltkriegs entstand, besteht aus 15 geistlichen Gesängen für unbegleiteten Chor und gilt als ein Höhepunkt der russisch-orthodoxen Chormusik. Der erste Satz, häufig auch „Nachtwache“ genannt, basiert auf dem liturgischen Text „Приидите, поклонимся“ („Kommt, lasst uns anbeten den König, unseren Gott“) und eröffnet die Vigilie mit einer Atmosphäre tiefen inneren Friedens und spiritueller Sammlung. Die Musik beginnt mit einem feierlich-ruhigen, beinahe mystischen Klang, der durch die charakteristische Klangfülle des russischen Basses geerdet wird. Rachmaninow verwendet bewusst Elemente der alten byzantinischen Kirchengesänge (Znamennyj-Ritus), die er jedoch durch seine romantisch geprägte Tonsprache erweitert. Polyphonie und homophone Chorblöcke wechseln sich ab, wodurch eine Klangarchitektur entsteht, die gleichzeitig archaisch und modern wirkt. Der Chor agiert rein a cappella – ein Ausdruck tiefer, unvermittelter Religiosität ohne musikalischen „Schein“. Besonders eindrucksvoll ist die Art, wie Rachmaninow mit Dynamik, Harmonie und Raum arbeitet. Die Musik entfaltet sich wie ein spiritueller Atem, getragen von dunklem Glanz und kontemplativer Ruhe – ein Gebet in Klangform. Die Ganznächtliche Vigil ist somit nicht nur ein grosses liturgisches Werk, sondern auch ein meditatives Klangbild, das Rachmaninows persönliche Frömmigkeit und seine tiefe Verbundenheit mit der russischen Liturgie spürbar macht.

Der Chor singt 5 Sätze aus dem Werk (ca. 30 Min.).

S. Rachmaninow – Ganznächtliche Vigil, op. 37, 5 Sätze